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Klabautergeschichten
Ein Buchmanuskript von Claus Beese

Copyright by Claus Beese, Verwendung von Texten, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors
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Leseproben

Das Unglück

»Der Mast kommt runter! Er ist aus dem Schuh gebrochen!« schrie der Schiffszimmermann durch den Sturm und das war das Ende der stolzen Kogge. Viele Monate hatte unsere Reise gedauert und nun, da wir in die Elbmündung liefen und uns der Sturm vor sich hertrieb, brach das Ruder und jetzt kam der Mast und die Takelage herunter. Der tosende Nordwest blies uns vor sich her auf den Medemsand zu, die Wellen waren zu haushohen Monstern geworden, die das manövrierunfähige Schiff zu ihrem Spielball erkoren hatten.
»Boote aussetzen!« schrie der Kommandant. »Alle Mann von Bord!«
Ein Brecher kam von Luv und fegte den Moses über das Deck als sei er eine Feder. Die herunterstürzende Rah begrub ihn unter sich und es war das Letzte, was ich von ihm sah. Der Rest der Mannschaft hielt sich verzweifelt an den überall gespannten Tauen fest um nicht ebenfalls weggerissen zu werden. Verzweifelt versuchten die Männer, die Kutter klarzubekommen, aber in der tobenden See gelang das nicht mehr. Kaum hatte man sie losgebunden, da wurden die Boote von den Wassern gegen die Reling geschleudert und zerbrachen bei dem Aufprall auf das berstende Geländer.
Ich hatte versagt. Ich spürte, wie eine Woge von achtern das Schiff anhob und hart auf den Grund der Untiefe schleuderte. Der morsche und von heimtückischen Würmern zerfressene Rumpf brach auseinander, der marode Kielbalken konnte die Spanten nicht mehr tragen, auf denen die bröselnden Planken sowieso kaum noch Halt gefunden hatten. Der Wurm! Hoffentlich würde er diese Temperaturen nicht überleben. Es war Winter in Deutschland und er war subtropische Klimabedingungen gewöhnt. Es wäre furchtbar, wenn wir den Tod für alle hölzernen Schiffe mit uns geschleppt hätten. Und ich, der ich Schiff und Mannschaft vor Unheil bewahren sollte, konnte gegen diesen unheimlichen Bohrwurm nichts tun. Wäre er ein böser Geist gewesen, ein Djinn oder einer jener Wassermänner, die gelegentlich versuchten, Schiffe und Mannschaften in die See hinabzuziehen, denen hätte ich es schon gezeigt. Vor ihnen wäre mir nicht bange gewesen. Aber dieses war eine Ausgeburt der Hölle, leise und unauffällig und absolut tödlich. Und nichts konnte ihn aufhalten. Selbst dickes Eichenholz zersetzte er in Rekordzeit, und der Schiffzimmermann kam nicht mehr nach, die schadhaften Stellen zu flicken, die ich ihm zeigte. Wir hatten schon die rote Insel in der See passiert und würden bald zu Hause sein. Wenig mehr als hundert Seemeilen trennten uns noch von dem Hafen, in dem das Schiff in die Werft gehen würde, als uns der heranrasende Sturm mit Macht getroffen hatte.
Das Schiff kippte auf die Seite, die Brecher schlugen über das Deck und spülten alles fort. Die nächsten Wogen würden das Schiff ganz zerbrechen und es wurde Zeit für mich, in das Holz zu gehen. Es war eine unserer besonderen Fähigkeiten, die es uns erlaubte, in einem Stück Holz oder einem Baum zu leben. Hier würde ich sterben, wenn ich in dieser Gestalt bleiben würde. Ich trat auf ein Fass zu, streckte die Hand aus und berührte das Holz. Meine Finger, meine Hand, mein ganzer Arm drangen in das weiche Material ein, und ich ließ meinen kleinen Körper folgen. Weich und warm fühlte es sich an, als ich mich in die Zwischenräume der Fasern schmiegte und eins wurde mit dem Fass. Gerade noch im letzten Moment war mir die Metamorphose gelungen, denn ein Ungetüm von einer Welle zerschmetterte den Schiffsleib und riss alles in die Nordsee, was nicht niet- noch nagelfest war. Auch ich wurde über die Reling gespült und trieb, von Strömung und Wind mitgerissen, dorthin, wo wir eigentlich mit dem Schiff hatten anlanden wollen. Ich trieb in meinem Fass den Fluss hinauf und irgendwann fischten mich ein paar Strandräuber aus der Elbe. Sie brachen den Deckel auf und stellten fest, dass in dem Fass nur Tran für die Lampen gewesen war. Enttäuscht hoben sie ihre Äxte um es zu zerschmettern und das Holz wenigstens noch zum Feuern zu gebrauchen. So wollte ich allerdings auch nicht enden, und so streckte ich mich und trat aus der Tonne. Fassungslos und mit weit aufgerissenen Augen sahen die Menschen mich aus dem Nichts entstehen. Schreiend ließen sie ihre Äxte und Beile fallen und rannten davon.
»Der Teufel! In dem Fass steckt der Teufel!« hörte ich sie brüllen. Ich sah an mir herab. Na gut, ich hatte schon besser ausgesehen, mein Hut war zerknautscht, mein Anzug aus englischem Tweed ziemlich ramponiert, und meine Schnallenschuhe sahen auch ein wenig abgerissen aus, aber mich mit dem Gehörnten zu verwechseln? Nein! Das war schon stark übertrieben.